Die Große Koalition, die uns sozial abgefedert und erfolgreich durch zwei große Krisen in diesem Jahrhundert geführt hat, gibt es nicht mehr. Das ist auch gut so. Verdienste und Versäumnisse hin und her, Demokratie lebt vom Wandel. Die finale Bewertung wird es ohnehin erst durch die Geschichtsschreibung mit einigem Abstand geben. Die Spitzenpolitiker, die jetzt eine neue Koalition schmieden müssen, haben eine gigantische Aufgabe vor sich, eine Krise, die auch längerfristig nur schwer lösbar ist:
Die Klimakrise lösen, aber wie?
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Wir alle wollen den menschengemachten Klimawandel stoppen, wir wollen und müssen den Anteil der Treibhausgase – hauptsächlich Kohlenstoffdioxid („Zeh-oh-zwei"), Methan („Zeh-ha-vier") und Lachgas („Enn-zwei-oh") – in der Atmosphäre möglichst wieder reduzieren, um mittel- und langfristig gesundheitliche und soziale Schäden von uns abzuwenden. Die Folgen einer sonst wahrscheinlich entstehenden Kettenreaktion sind längst noch nicht alle bekannt.
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Um dieses Ziel in absehbarer Zeit zu erreichen, muss unsere Wirtschaft umgebaut werden. Das ist ein gigantischer Kraftakt, nicht nur ökonomisch, sondern insbesondere auch in organisatorischer und technologischer Hinsicht. Die notwendigen Fachkräfte müssen vorhanden sein, ebenso genügend grüne Energie und entsprechende Netze und Leitungen dafür und eine umweltschonende Herstellung für die Anlagen und die Ausrüstung, um die neuen Technologien anwenden zu können.
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Transformation der Wirtschaft heißt zugleich Transformation der Arbeitswelt. Viele alte Arbeitsplätze werden wegfallen. Wie kann eine hohe Arbeitslosigkeit verhindert werden?
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Das alles kostet Geld. Wer zahlt das alles? Die staatlichen Kassen sind fast leer, die Abfederung der Corona-Risiken hat viel Geld gekostet. Was zahlt der Verbraucher direkt über die Energiepreise oder indirekt über höhere – energiekostengetriebene – Verbraucherpreise oder höhere Steuern? Was zahlt der Staat über eine höhere Staatsverschuldung? Die Wirtschaft zahlt gar nichts, die Kosten (zuzüglich der Gewinne) tragen am Ende der Verbraucher und der Steuerzahler.
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Daraus resultiert die soziale Frage: Was bedeutet das für den Normalbürger, wenn noch mehr Geld für Energie und höhere Verbraucherpreise draufgeht? Was bedeutet das für seinen Lebensstandard? Verzicht auf Urlaub, überhaupt Konsumverzicht? Mehr Armut?
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Und was bedeutet das für die Volkswirtschaft? Sind Enthaltsamkeit, Konsumverzicht, eine suffiziente Lebens- und Produktionsweise Lösungen? Welche Reboundeffekte wird es geben? Einen massiven Einbruch der Binnenkonjunktur und Abbau von Arbeitsplätzen in vielen Bereichen? Eine Teufelsspirale? Oder schafft die Wirtschaft das allein – zum Beispiel mit Steuergeschenken über Kurzfristabschreibungen für langfristige Investitionsgüter, wie Wirtschaftsliberale es meinen? Aber wer stopft dann die Löcher im Staatshaushalt? Und was ist der Wahlbürger bereit politisch zu tragen? Es geht um mehr als nur um die Spritpreise.
- Die Lösungen für dieses Spannungsdreieck aus ökonomischen, ökologischen und sozialen Fragen, man könnte es fast ein Bermudadreieck nennen, müssen vor dem Hintergrund sich ständig verändernder Rahmenbedingungen mit hohen Risiken entwickelt werden. Diese Rahmenbedingungen sind beispielsweise:
> Verfügbarkeit von Ressourcen (unterschiedlicher Art)
> technologische Innovationen, die langfristige Investitionentscheidungen konterkarieren können
> Veränderungen politischer und ökonomischer Art
Dazu kommen weitere weltweite Entwicklungen, von denen wir uns mit unserem Anteil von einem Prozent an der Weltbevölkerung nicht abkoppeln können.
Und was hat das alles mit spar+bau zu tun?
Neben der Landwirtschaft, der Industrie und dem Verkehrssektor ist die Wohnungswirtschaft einer der großen Emittenten von Treibhausgasen. Die Erzeugung von Warmwasser und Heizungswärme erfolgt überwiegend über die Verbrennung von fossilen Energieträgern wie Kohle, Erdöl und Erdgas, aber auch von Holz. Das verursacht in Deutschland derzeit einen Ausstoß von rund 120 Millionen Tonnen CO2. Nach den Zielen der derzeitigen Bundesregierung soll dieser Wert bis 2030 etwa halbiert werden.
Engagierte Vertreterversammlung
Das wurde in der diesjährigen Vertreterversammlung lebhaft diskutiert. Es muss schneller etwas passieren, lautete die Forderung an Aufsichtsrat und Vorstand. Die ist natürlich auf fruchtbaren Boden gefallen, denn damit beschäftigen wir uns regelmäßig schon seit längerer Zeit. Da aber ein Programm auf einer seriösen Datenbasis aufgebaut sein muss, wird der Vorstand dem Aufsichtsrat erst zum Jahresanfang 2022 das in Arbeit befindliche Programm mit Kostenschätzung und Finanzierung vorlegen können. Wir freuen uns über die Unterstützung für unsere Arbeit zum Klimaschutz.
Und die Mieten?
Genauso lebhaft wurde die berechtigte Frage angesprochen, mit der sich Aufsichtsrat und Vorstand ebenso regelmäßig beschäftigen:
Wie sichern wir weiterhin günstige Mieten? Damit haben wir eine ähnliche Aufgabenstellung wie die verantwortlichen Bundespolitiker, nur auf unserer Maßstabsebene. Um die Klimaziele für unsere 8000 Haushalte zu erreichen, müssen die Stadtwerke klimaneutrale Fernwärme und klimaneutralen Strom liefern und spar+bau muss seine 4000 Gasetagenheizungen (Erdgas besteht zu 95 Prozent aus Methan) und seine zentralen Heizanlagen ersetzen. Oder die Stadtwerke rüsten ihr Gasnetz auf Wasserstoff um. Ein gigantisches Investitionsprogramm und eine große organisatorische Aufgabe. Egal wie: Wer trägt die Kosten? Wie kommen wir aus dem Bermudadreieck heraus?
Wir müssen schneller werden!
Wir wissen noch nicht, welche Lösungsvorschläge die nächste Bundesregierung hat, wir wissen nur eins: Es gibt keinen Weg zurück! Und wir wissen, dass wir jetzt auch schneller handeln müssen. Wir müssen autarker werden und prüfen, ob wir über neuere Modelle wie Mieterstrom in Genossenschaftsform mit eigenem Solarstrom und Nahwärmenetzen unseren Mitgliedern zumindest da, wo es möglich ist, günstigere Energie zur Verfügung stellen können.
Herzlichst
Ihre Walter Richter